Stuttgart. Artenwissen ist der Schlüssel zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Doch die Wissenserosion in der Bevölkerung und in Fachkreisen schreitet voran. Antworten darauf, wie sich zoologisches und botanisches Know-how sichern, vermehren und vermitteln lässt, lieferte jetzt das international beachtete Online-Statuskolloquium „Taxonomie“ der Umweltakademie Baden-Württemberg und der Akademien der anderen Bundesländer.
„Heutzutage sind mehr Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht als jemals zuvor. Nicht nur weltweit, sondern auch vor der eigenen Haustüre. Die Herausforderungen vor denen Gesellschaft und Politik damit stehen, sind gewaltig. Wer hochgradig gefährdete Arten schützen, Biodiversität erhalten und weiterentwickeln will, braucht Artenwissen“, so Claus-Peter Hutter, Leiter der Umweltakademie Baden-Württemberg.
Doch daran hapert es mehr und mehr, wie das Statuskolloquium „Taxonomie“ am Dienstag, 14. Juli 2020 gezeigt hat. Initiiert wurde die Online-Veranstaltung von der Umweltakademie Baden-Württemberg und dem Bundesweiten Arbeitskreis der staatlich getragenen Umweltbildungsstätten im Natur- und Umweltschutz.
Nicht nur zahlreiche Pflanzen- und Tierarten – auch Zoologen und Botaniker stehen zwischenzeitlich auf der Roten Liste, weil in den letzten 20 Jahren Genetik und Molekularbiologie in Biologie-Studiengängen stärker gefördert wurden, als Zoologie und Botanik.
Auch in der Bevölkerung nimmt die Zahl derer, die tatsächlich noch wissen, was in der Natur kreucht und fleucht, ständig ab. „Das verwundert nicht, wenn sich Erzieherinnen, Grundschul- und sogar Biologielehrer nicht mehr in der Natur auskennen und sich Eltern und Kinder zunehmend von ihr entfernen mit dramatischen Folgen“, so Roland Horne, Vorsitzender des Arbeitskreises der Umweltakademien in Deutschland (BANU).
Artenwissen ist für den Erhalt der Biodiversität unverzichtbar. Es genügt laut Claus-Peter Hutter nicht Arten zu kennen. „Es müssen wieder die Zusammenhänge zwischen Landbewirtschaftung und Kulturlandschaft, Verbraucherverhalten und Lebensstil, Ernährung und Gesundheit aufgezeigt werden“, so der Leiter der Umweltakademie Baden-Württemberg.
Dass selbst Biologen von Planungsbüros, Natur- und Umweltschutzbehörden gezwungen sind Fortbildungen zu besuchen, weil ihnen zoologisches und botanisches Know-how fehlt, um etwa Bauprojekte rechtssicher zu planen und Schutzgebiete zu entwickeln, sei mehr als alarmierend. „Das lässt erahnen, wie eklatant der Mangel an Artenwissen dann erst in der Bevölkerung ausfällt“, so Hutter. „Es braucht ein breites Bündnis von Wissenschaft, Fachplanung, Behörden und Naturschutzpraxis, um taxonomisches Wissen wieder breit in verschiedenen Gesellschaftsbereichen zu verankern.“
An der Politik fehlt es dieses Mal gewiss nicht: „In mehreren Bundesländern sind die personellen und finanziellen Voraussetzungen zur Stärkung der Taxonomie-Kompetenz geschaffen worden – auch in Baden-Württemberg“, konstatiert Dr. Karin Blessing, die das Programm zum Artenwissen der Umweltakademie Baden-Württemberg koordiniert.
Im November 2019 hat die Landesregierung die Initiative „Integrative Taxonomie“ gestartet. Mit ihr will die Landesregierung, sowohl in der Wissenschaft, als auch im Bildungsbereich, Artenwissen wieder nach vorne bringen.
Zur Stärkung der taxonomischen Kompetenz und zur Vermittlung von Artenwissen in Forschung, Hochschullehre und in der breiten Fort- und Weiterbildung hat die Landesregierung beschlossen, ein Synthese-Zentrum „Integrative Taxonomie“ einzurichten. Hierfür entstehen zwei neue Professuren im Bereich „Integrative Taxonomie der Insekten“ an der Uni Hohenheim und im Bereich „Biodiversitätsmonitoring“ als gemeinsame Berufung von der Uni Hohenheim und dem Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart.
In Rahmen der Initiative wird die Umweltakademie zu einem taxonomischen Fort- und Weiterbildungszentrum ausgebaut. Im Zuge dessen ist etwa geplant, regionale Taxonomen-Netzwerke aufzubauen, eine digitale Wissensplattform in Kooperation mit dem Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart zu entwickeln und Multiplikatoren zu qualifizieren, die in Seminaren, Workshops, Tagungen und Exkursionen Artenwissen weitergeben. Zwischenzeitlich ist Taxonomie auch in die Ausbildung von Erzieherinnen integriert worden.
Ziel sei es mit Fachexpertise die Artenvielfalt zu stärken, weiterzuentwickeln und in die Gesellschaft zu tragen. Wie das kreativ und innovativ gelingt haben beim Online-Statuskolloquium „Taxonomie“ auch Berichte und Beispiele aus anderen Bundesländern und EU-Ländern gezeigt. „Die Lage ist erkannt, lamentieren bringt nichts, handeln ist angesagt. Und zwar jetzt, sofort“, sagte Claus-Peter Hutter. „Schließlich geht es um nichts Geringeres als unser aller Lebensgrundlage, die wir für uns und nachfolgende Generationen erhalten müssen.“
Pressekontakt
Dr. Karin Blessing, stellv. Leiterin Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg, 0711 126-2808
Martina Ackermann, Sekretariat Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg, 0711 126-2807