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Pressemeldung

10.07.2025

Schwimmende Seminare Spezial: Neobiota im Bodensee

Roll up Schwimmende Seminare, im Hintergrund: sitzende Menschen bei Tagung
Quelle: ©Michael Eick

Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg veranstaltet informative Schifffahrt mit Vorträgen zur aktuellen Lage der neu in den See eingewanderten Arten 

Konstanz: In den letzten Jahren haben mehrere neue Tierarten den Bodensee erobert. Dabei bereiten vor allem die Quagga-Muschel und der Stichling als sogenannte invasive Arten massive Probleme. Sie sind dabei, das Ökosystem des Sees massiv zu verändern. Zudem richten sie erhebliche wirtschaftliche Schäden an. So beeinträchtigt die Quagga die Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung und der Stichling ist eine Bedrohung für den Brotfisch der Fischer, den Felchen. Die Fachleute gehen davon aus, dass sich in Zukunft weitere neue Tier- und Pflanzenarten im See etablieren werden – wenn sie nicht schon da sind, aber bisher nur noch nicht gefunden wurden.

Fachleute diskutieren über neu eingewanderte Tierarten im Bodensee

Diese so genannten Neobiota gehört mit dem Klimawandel zu den derzeit größten Herausforderungen, die der Bodensee zu meistern hat. Daher sind invasive Arten ein wichtiges Anliegen der Internationalen Bodensee-Konferenz (IBK), deren Vorsitz derzeit Baden-Württemberg hat. Jetzt haben im Rahmen einer Veranstaltung der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg Fachleute über die aktuellen Erkenntnisse zu neu eingewanderte Arten berichtet. Passend zum Thema fand das Spezialsymposium „Neobiota im Bodensee“ während einer Schifffahrt im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Schwimmende Seminare“ der Umweltakademie statt. Thekla Walker, die baden-württembergische Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, betonte dabei die effektive Zusammenarbeit der Anrainerstaaten: „Die IBK hat schon in der Vergangenheit gezeigt: Wenn alle Anrainer am See gemeinsam zusammenarbeiten und dann alle auch gemeinsam handeln, wenn sie sich auf etwas geeinigt haben, dann ist das erfolgreich – wie man heute an der Wasserqualität des Bodensees ablesen kann.“

Erhebliche Auswirkungen auf das Ökosystems des Bodensees

Doch um erfolgreich zusammenarbeiten zu können, bedarf es fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse. So werden die Neobiota im Bodensee seit 2005 intensiv im Rahmen spezieller Projekte untersucht, wie Thorsten Rennebarth vom Institut für Seenforschung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) berichtete. Sein launisches Fazit: „Das ist ein ganz munterer Zoo, der mittlerweile in den See eingewandert ist.“ Das kann massiv erfolgen, aber ohne große offensichtliche Konsequenzen bleiben, wie zum Beispiel bei zwei Arten von Schwebegarnelen: „Die bilden im Winter große Schwärme und fallen dann auf, während sie sich im Sommer gut im See verteilen“, so der Biologe. Das kann aber auch – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – erhebliche Auswirkungen auf andere Tierarten und damit das Ökosystem See haben. Dazu zählt zum Beispiel der 2003 erstmals im See gefundene Höckerflohkrebs, im Englischen bezeichnenderweise Killershrimp genannt. „Der frisst im Seeuferbereich alles, was er überwältigen kann.“ Dazu zählen vor allem die anderen heimischen Flohkrebsarten, aber auch beispielsweise seltene Libellenlarven.

Die Quagga-Muschel

Die größten Probleme aber bereitet die Quagga-Muschel, die 2017 zum ersten Mal im See entdeckt wurde und die sich seither massiv bis in die tiefsten Stellen ausgebreitet hat. Mit bis zu 15.000 Tieren pro Quadratmeter bestimmt sie zunehmend das Geschehen im See, frisst Fischen und anderen Tieren die Nahrung weg und sorgt in technischen Anlagen für Millionenschäden. Das Problem umreißt Piet Spaak von der schweizerischen Wasserforschungsanstalt EAWAG so: „Wenn Quaggamuscheln einmal einen See besiedelt haben, wird man sie nie wieder los!“ Wie sie sich im Bodensee weiter entwickelt und wann sich ein neues Gleichgewicht etabliert, müsse das weitere Monitoring zeigen. Entwarnung könne man derzeit nicht geben, so der Forscher, weil „es noch viel Luft nach unten gibt“. Denn in der Tiefe ist der See noch lange nicht so dicht besiedelt wie in flacheren Seeteilen. Dabei zeigen die bisherigen Erfahrungen vor allem aus den großen nordamerikanischen Seen, dass die Muscheln in der Tiefe wegen des kälteren Wassers zwar langsamer wachsen, dafür aber deutlich älter werden. Für die Schweizer Behörden ist es daher wichtig, dass sich die Quagga nicht in andere Seen ausbreitet. Daher haben dort viele Kantone eine Reinigungs- und Meldepflicht erlassen, wenn Boote von einem Gewässer ins andere transportiert werden. Um die Verbreitung unerwünschter Arten zu verhindern oder zumindest zu bremsen, ist eine solche Pflicht auch in Deutschland in der Diskussion. Dies müsse aber gut vorbereitet sein, mahnte die Umweltministerin Thekla Walter – und erinnerte an die umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit, die speziell am Bodensee alle Wassersportler zu einem verantwortungsvollen Umgang mit ihrer Ausrüstung mahnt, vor allem im Hinblick auf eine sorgfältige Reinigung und Trocknung vor der Nutzung in anderen Gewässern.

Wie aber könnte sich die Quagga-Muschel in Zukunft in das Ökosystem Bodensee integrieren? Bei der ähnlich invasiven Einwanderung der mit der Quagga verwandten Zebramuschel in den 1960er Jahren waren es vor allem Wasservögel, denen die Muscheln als willkommene Nahrungsquelle dienten. Jetzt weiden Karpfen, Rotaugen und andere karpfenartige Fischarten die Quaggabestände intensiv ab, wie Alexander Brinker berichtete, der Leiter der Fischereiforschungsstelle des Landwirtschaftlichen Zentrums Baden-Württemberg (LAZWB). So seien bei Nahrungsanalysen Rotaugen gefunden worden, die bis zu 80 Prozent Muscheln in ihren Mägen hatten. Doch trotz des neuen guten Nahrungsangebotes vermehren sich die Bestände dieser Weißfischarten nicht wirklich. Brinker führt dies darauf zurück, dass wiederum Raubfische wie Hecht und Wels genauso wie der Fische fressende Kormoran die Weißfische in Schach halten – schließlich seien deren Bestände in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen.

Schwimmende Seminare

Diese und viele weitere interessante Erkenntnisse etwa über die Folgen invasiver Arten für die zukünftige Gewinnung von Trinkwasser aus dem Bodensee oder über die Ausbreitung von Neobiota an Land bieten nun reichlich Stoff für die Vorträge, die im Rahmen der regulären „Schwimmenden Seminare“ abgehalten werden. Schon seit Jahren bietet die Umweltakademie in Zusammenarbeit mit dem Seenforschungsinstitut und den Bodensee-Schifffahrtsbetrieben im Sommer kostenfreie Vorträge zum Ökosystem Bodensee während einer Schifffahrt für die Reisenden an.

 

Die Schwimmenden Seminare finden vom 4. Juli bis 10. August 2025 an Bord des Motorschiffs Überlingen statt, jeweils am Freitagvormittag und Sonntagnachmittag. Die Teilnahme ist kostenfrei, es gilt der reguläre Fahrpreis.